D. Rippmann: Liestal – Historischer Städteatlas der Schweiz

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Titel
Liestal – Historischer Städteatlas der Schweiz.


Autor(en)
Dorothee, Rippmann
Erschienen
Zürich 2009: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
87 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Peter Degen

Der «Historische Städteatlas der Schweiz» bildet die nationale Konkretisierung eines europaweit angelegten Unternehmens. Die ersten Atlanten erschienen in den Siebzigerjahren in Deutschland und England. Die Schweiz zog in den Neunzigerjahren mit drei Publikationen unter der Ägide der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften nach, die das Unterfangen nachder Jahrtausendwende hat versanden lassen. Der Schweizerische Arbeitskreis für Stadtgeschichte unternimmt mit dem Stadtatlas von Liestal eine Wiederbelebung.

Die Reihe ist im Konzept daraufhin angelegt, den Historikern, Archäologen und Denkmalpflegern als Arbeitsinstrument zu dienen, gedacht wohl als synoptische Plattform aller stadtbezogenen geschichtlichen Informationen. Daneben werden die Atlanten als Referenzwerk für Behörden, Architekten und Stadtplaner angesprochen. Der Untersuchungsraster wird mit «Genese, Entwicklung und Raumstruktur von Schweizer Städten» eingegrenzt. Die Maschenweite dieser Parameter ist gross. Angesichts der Bearbeitung der Atlanten durch Einzelpersonen ist mit unterschiedlichen Betrachtungsweisen und Ableitungen zu rechnen.

Dorothee Rippmann hat als Mittelalterarchäologin den Zugriff auf urkundliche Quellen, die Flurnamenforschung sowie zu Aufschlüssen von Bauuntersuchungen und Bodenforschung. Die Auslegeordnung der Genese der Stadt lässt demgemäss wenig Fragen offen. Die Autorin fasst die Erkenntnisse zur vorstädtischen Besiedlung ab römischem Landausbau bis zum Zeitpunkt der Stadterhebung durch die Frohburger in einen gedrängten Überblick. Als Wissenschaftlerin konzentriert sie sich auf gesicherte Fakten, damit werden Siedlungsphänomene mit noch unsicheren Befunden mehr erwähnt denn reflektiert. Dies gilt beispielsweise für die nahgelegene Anlage «Burghalde», angesprochen als mögliche Stadt «in nuce», die angesichts der Ereignisse im 10. Jahrhundert auch als eine temporäre Siedlungsverlegung zu deuten wäre.

Die Zeitspanne vom Mittelalter bis zur Kantonstrennung 1833 geht die Verfasserin in einer «stereoskopischen» Betrachtungsweise an. Sie dokumentiert zum einen den geschichtlichen Ablauf und die Akteure von frohburgischer Herrschaft, bischöflicher Amtsstadt und baslerischer Landstadt. Eingeschoben in diese chronologische Betrachtung finden sich detailreiche Exkurse zur Vermessung des Territoriums, zum hydrografischen Netz der Stadtbäche, Kanäle und Weiher sowie zur Entwicklung von Gewerbe und Märkten. Der Leser erhält damit Einblicke in die institutionelle wie technische Infrastruktur als Voraussetzung der Stadtentwicklung. Bedauerlicherweise findet in dieser Betrachtung die Bauordnung von 1536 keine Darstellung. Diese Ordnung, vom baselstädtischen Rat nach der Stadtübernahme beschlossen, enthält schweizweit früheste Regelungen zur Gestaltfassung des Stadtbaukörpers.

Der Zeitabschnitt ab der Kantonsgründung bis ins 20. Jahrhundert nimmt in der Darstellung – was keine Überraschung ist – ebensoviel Raum ein wie all die Jahrhunderte davor. Die Schwierigkeit, die Fülle des Materials zu bändigen und den Fluss der Darstellung zu wahren, ist dem Text ablesbar. Gut wiedergegeben sind die Eigenheiten der öffentlichen Ausstattung der nach 1833 zur «Residenz» von Parlament und Verwaltung gekürten Stadt. Das Ende der Abhandlung lässt den Leser etwas verloren zurück: Er wünschte sich eine finale Betrachtung, eine zusammenfassende Würdigung, die ihm hilft, seine Eindrücke zu ordnen.

Auffällig am Gesamtwerk ist der strenge Fokus auf das untersuchte Objekt. Es ist nicht abschätzbar, wieweit dies einer Einschränkung der Reihe oder der Selbstdisziplin der Verfasserin entspricht. Eine Öffnung des Blickes könnte die Wahrnehmung von Sonderheiten schärfen. Zwei Beispiele: Die Frohburger haben in ihrer Städtefamilie das Prinzip Stadt nicht jedesmal neu erfunden. Bei Betrachtung der Schwesterstädte finden sich Bausteine wie das «Burgum», die den einzelnen vorstädtischen Siedlungen in offensichtlich unveränderter Struktur angelagert wurden. Dorothee Rippmann schildert den Stadtausbau nach 1833 als Zwiespalt zwischen dem Anspruch eines «residenziellen Ambientes» und der Spröde einer (protestantischen?) Zurückhaltung. Es wäre aufschlussreich, sich dazu die zeitnahe Planung von Daniel Osterrieth zum Ausbau von Aarau als Residenz der Helvetik zu vergegenwärtigen.

Der «Genese und Entwicklung einer Schweizer Stadt» wird mit der vorliegenden Arbeit Genüge geleistet. Schwieriger wird es bei der «Raumentwicklung ». Was soll der Leser sich darunter vorstellen? Unser zeitgenössisches Stadtverständnis ist geprägt von Bauten und Einrichtungen der Infrastruktur, der Stadtraum wird als das wahrgenommen, was danach noch übrig bleibt. Diese Ableitung entspricht kaum der Absicht der Reihe. Die Raumentwicklung im Sinne der Dualität von Stadtraumgefüge und Stadtbaugefüge bedingt eine topologische Analyse der Stadtstruktur. Dies leistet der Atlas nur in Ansätzen.

Dieser Mangel ist keinesfalls der Autorin alleine anzulasten. Es scheint hier in der grundsätzlichen Zielformulierung noch eine Baustelle offen. Wenn die Reihe, wie postuliert, den heute an der Stadt Arbeitenden eine Anleitung, eine Referenz sein soll, dann muss der strukturellen Interpretation von Stadtraumgefüge und Stadtbaugefüge mehr Raum gewidmet werden. Die Schweizer Atlantenreihe ist ursprünglich an der ETH, einer Architekturschule, konzipiert worden. Vielleicht war dies der Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften zu wenig wissenschaftlich. Die Abgänger dieser Hochschule aber sind wesentlich verantwortlich für den künftigen Umgang mit den untersuchten Städten. Es muss hier eine Kooperation gefunden werden, die das Fachwissen von Forscherinnen wie Dorothee Rippmann mit den Fragestellungen der strukturell Bauschaffenden konfrontiert und daraus einen Dialog begründet.

Zitierweise:
Peter Degen: Rezension zu: Dorothee Rippmann: Liestal – Historischer Städteatlas der Schweiz. Zürich, Chronos Verlag, 2009. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 62 Nr. 1, 2012, S. 165-167

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 62 Nr. 1, 2012, S. 165-167

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